Interview: Siemens & Initiative Chefsache

... ein feministisches Unternehmen stellt sich vor!

Heute möchten wir Euch Siemens vorstellen. Dafür haben wir mit Katja Ploner, Corporate Diversity & Inclusion Advisor, gesprochen. Siemens hat schon vor vielen Jahren Diversität auf die Agenda des Vorstands gesetzt und das Einbeziehen und Zusammenwirken verschiedener Denkweisen, Hintergründe, Kompetenzen und individueller Qualitäten über alle Ebenen in die eigene Unternehmensstrategie integriert. Außerdem ist die Siemens AG Mitbegründer der Initiative Chefsache, einem Netzwerk von Führungskräften aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlichem Sektor und Medien, das sich der Chancengerechtigkeit von Frauen und Männern persönlich verpflichtet fühlt.

 

Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!

    

 

Bevor wir starten: Ich weiß Du arbeitest bei Siemens, unser Kontakt ist aber über die "Initiative Chefsache" zu Stande gekommen. Wie seid Ihr denn mit Initiative Chefsache vernetzt und was sind Deine Aufgaben dabei?

Katja Ploner: Wir sind Gründungsmitglied der "Initiative Chefsache". 2015 hatte die Bundeskanzlerin verschiedene Unternehmen, unter anderem auch Siemens, gefragt, wie man das Thema Frauenförderung zur "Chefsache" erklären kann. Daraufhin haben sich einige Unternehmen das Ziel gesetzt, nicht mehr nur auf unternehmerischer Ebene allein zu agieren, sondern auch gesellschaftspolitisch Verantwortung zu übernehmen. In den ersten zwei Jahren hat Siemens die Initiative maßgeblich vorangetrieben. Zum Beispiel haben wir eine – mittlerweile jährlich stattfindende – Konferenz mit ins Leben gerufen, die zuletzt auch live bei Youtube gestreamt wurde. Obwohl wir mittlerweile keinen aktiven Mitgliedsstatus mehr haben,  sind wir weiterhin im regelmäßigen, aktiven Austausch mit der Initiative, insbesondere, wenn es um die künftigen strategischen Schritte geht und bringen hier unsere Ideen und Vorschläge mit ein. Auch an der Konferenz und den Kampagnen der Initiative nehmen wir aktiv teil.

Und was ist Deiner Meinung nach ein feministisches Unternehmen?

Katja Ploner: Ein feministisches Unternehmen ist für mich eines, das die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern erreicht hat. Siemens wäre nach dieser Definition kein feministisches Unternehmen, da wir derzeit einen Frauenanteil von nur 26 Prozent haben. Man muss allerdings dabei auch beachten, in welcher Branche wir tätig sind, und im Branchenvergleich ist diese Zahl gar nicht so übel. Wir haben das Gender-Thema bei uns schon länger auf der Agenda und hier auch einiges erreicht, aber wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen. Denn unsere Vision sollte sein, Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. Was ist denn deiner Meinung nach ein feministisches Unternehmen?

Ich glaube, für mich ist ein feministisches Unternehmen ein Unternehmen, das sich für Gleichstellung in Bezug auf Männer, Frauen, Transmenschen, Menschen mit Behinderung etc. stark macht und diese aktiv lebt. Das Ganze sollte außerdem transparent gemacht werden, also kommuniziert werden: Wir sehen das Problem und wir sind dran, wir wollen und werden etwas ändern.

Katja Ploner: Dann habe ich den Begriff „feministisches Unternehmen“ für mich viel enger definiert. Nach deiner Definition würde ich meine Antwort korrigieren und sagen: Es gibt wenige Unternehmen, zumindest in unserer Branche, die so feministisch sind wie Siemens! Wir haben schon seit 2008 eine(n) Chief Diversity Officer und das Thema ist in der Strategie bei Siemens auch seitdem fest verankert. Der Vorstand treibt Diversität also schon lange, was ganz wichtig für Veränderung ist. Unsere aus meiner Sicht sehr hohe Integrationsleistung gründet sich auch darauf, dass wir schon im Kern ein sehr diverses Unternehmen sind: Zum Beispiel sind wir bei der Dimension LGBTI auf Platz drei des LGBT+ DAX 30 Index. Außerdem haben wir vor drei Jahren den Max-Spohr-Preis gewonnen. Und zum Thema Ability: Der Anteil der Menschen mit Behinderung liegt bei Siemens bei 6,5 %. Wir haben in diesem Bereich den Inklusionspreis der deutschen Wirtschaft gewonnen und sind sowohl international als auch generationenübergreifend sehr breit aufgestellt. Insofern wäre Siemens nach deiner Definition sogar ein durch und durch feministisches Unternehmen.

Aber gerade, wenn man in der letzten Zeit in den sozialen Medien unterwegs war, Stichwort Equal Pay Day und internationaler Frauenkampftag, sieht man, dass das alles leider oft noch nicht gegeben ist.

Katja Ploner: Ja, das ist richtig. Als ich damals von der Universität in den Job kam, habe ich gedacht, die Gleichstellung ist zu 100 Prozent gegeben. Und weder meine Generation noch die Vorgängergeneration hätte je geglaubt, dass sie sich so stark mit Gleichberechtigungsfragen auseinandersetzen muss. Zudem gab es viele Strömungen, die genauso engagiert - wie jetzt in 2021 - in die gleiche Richtung gegangen sind und den Impuls hatten, etwas zu verändern. Faktisch ist das aber leider nicht passiert und deshalb glaube ich, dass sich noch sehr viel mehr und viel schneller etwas verändern muss als in den letzten 50 Jahren! Vor allem in Deutschland: Wir haben zwar Gleichberechtigung und Gleichstellung in unserem Grundgesetz verankert, sind aber im europäischen Vergleich Schlusslicht in diesen Dimensionen. Das müssen wir ändern! Vieles, was im Moment passiert, hat Signalwirkung.

Gibt es denn konkrete Beispiele zu Diversität und Geschlechterparität bei Siemens?

Katja Ploner: Ja, wir haben bei Siemens zum Beispiel am Weltfrauentag ein gr0ßes Event auf LinkedIn gestreamt. Hier gab es eine passende Anekdote: Auf unserem Panel berichtete unser Deutschland-CEO, einer seiner Mitarbeiter hätte ihm erzählt, er habe eine Frau in einer hochrangigen Position eingestellt – und diese sei "sogar schwanger". Die Reaktion unseres CEOs: Wenn die Frau die beste Kandidatin ist, ist es doch egal, ob sie schwanger sei oder nicht. Das sind Signale, die wertvoll und wichtig sind! Leider aber sind solche Ansichten noch nicht repräsentativ für ganz Deutschland. Und deshalb ist es wichtig, dass ein Unternehmen wie Siemens diese Botschaften in die Welt hinausträgt.

Oder zum Beispiel in meinem Fall: Ich habe vier Kinder und arbeite in einer Vollzeitstelle. Als ich vor acht Jahren bei Siemens einstieg, wurde ich im Vorstellungsgespräch nicht gefragt, wie ich denn meine Kinder betreue. Ich hatte mich auf diese Frage sehr gut vorbereitet, weil ich sicher war, dass sie kommen würde. Aber sie kam nicht, vor allem, weil eine der beiden Interviewerinnen selbst drei Kinder hatte und in Vollzeit arbeitete. So etwas sind eigentlich Selbstverständlichkeiten, die sich in Deutschland aber immer noch etablieren müssen.

Gleichberechtigung voranzutreiben, kann auch sehr anstrengend sein. Es gibt ja nicht nur eine Baustelle, die man angehen muss. Daher meine nächste Frage zum Thema Diversität, Inklusion und Gleichstellung: Welche Faktoren schätzt Ihr als besonders wichtig ein? Also worauf legen Initiative Chefsache und Siemens ihren Fokus?

Katja Ploner: Initiative Chefsache bildet die Dimension Gender ab, während z.B. die Charta der Vielfalt – so wie wir auch bei Siemens - eine etwas breitere Definition von Diversität umfasst. Wenn wir bei Siemens von Diversität und Vielfalt sprechen, inkludieren wir hierbei also auch sexuelle Orientierung, religiöse Überzeugung, den Familienstand, das Alter, Ethnie oder die soziale Herkunft. Diversität und Inklusion beziehen sich immer darauf, dass Minderheiten das gleiche Recht und die gleichen Chancen haben wie die Mehrheit. Bei Siemens hat jeder und jede die gleichen Chancen, unabhängig davon, ob er oder sie einer Minderheit oder der Mehrheit angehört. Und um noch einmal auf deine Frage zurück zu kommen, worauf wir Wert legen: Wichtig ist uns, dass die Geschlechterfrage keine Frage von Minorität ist.

Hast Du noch ein weiteres Beispiel, wie Ihr Diversität in Eurem Unternehmen etabliert habt?

Katja Ploner: Das Thema Diversität ist in den letzten Jahren gewissermaßen ein Trend geworden. Bei Siemens können wir hierbei aber nicht von einem Trend sprechen, sondern eher von einer Tradition: Wir sind im Kern ein diverses Unternehmen: Bei Siemens arbeiten vier Generationen von Menschen in mehr als 170 Ländern mit den unterschiedlichsten fachlichen, sozialen und religiösen Hintergründen zusammen, um Nutzen zu schaffen für unsere Kund:innen und die Gesellschaften, in denen wir tätig sind. Unser Vorstand hat das mal sehr treffend zusammengefasst: Ohne unsere Diversität wären wir nicht das, was wir heute sind. Gerade unsere Vielfalt ist also unsere Stärke!

Hast Du noch einen Tipp, den Du unserer Community mit auf den Weg geben möchtest?

Katja Ploner: Ja, auf jeden Fall: Bleibt dran! Das ist nicht selbstverständlich. Dieser Tipp stammt übrigens nicht von mir, sondern von Ursula von der Leyen, die dazu auf einer der Chefsache-Konferenzen aufgerufen hat. Sie hatte damals eine sehr persönliche Rede gehalten und gesagt, dass sie als junge Frau Anfang der Achtzigerjahre auch davon überzeugt war, dass die Gleichberechtigungsfrage geklärt ist. Ist sie aber nicht. Also bleibt dran, bleibt dran, bleibt dran!


Interview: Anna Bennecke ist Mitgestalterin bei CO:X. Sie will vielfältige Perspektiven sichtbar und Mut zur Veränderung machen. Dabei ist es ihr Anliegen, mit der Community neue Wege zu entdecken, Intersektionalität, Feminismus und die neue Arbeitswelt holistisch zu betrachten und zu gestalten.


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